Torhüterin Christine Lindemann
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Sekundenbruchteile bis zum Schmerz

Die hochgereckte Faust kann vieles bedeuten – Bedrohung oder Erlösung. Beispielsweise nach einem Sieg. Die in die Luft gestreckte Faust ist eine der meistphotographierten Gesten im Sport. Eine Ikone – die Visualisierung eines bestimmten Gefühls. Solche Ikonen helfen uns, Sachverhalte zu verstehen. Die Siegerfaust braucht keine weitere Erklärung. Der hängende Kopf eines Sportlers auch nicht, genauso wenig wie seine gefletschten Zähne oder ein verschwitztes Gesicht.

Ein Bild, das ohne Worte auskommt ist zweifelsfrei ein gutes Bild. Ein Bild, das eine Geschichte erzählt, ein Bild, das über sich hinauswächst. Im Sport sind solche Bilder leicht zu machen, beispielsweise von einem Torhüter. Torhüter sind Einzelkämpfer, die Welt besteht allein aus ihnen und dem Ball – alles Weitere ist weit weg und nebensächlich. Jeder Sport hat dabei seine eigenen Bewegungsabläufe. Handball bietet dabei ein wenig von Ballett, von Tanz. Bilder von Torhütern sind immer reduziert: auf Augen, Hände und – im Handball – auf die Beine. Eigentlich auf alles zu gleichen Teilen.

Das Bild von Christine Lindemann, ehemalige deutsche Nummer-Eins-Torhüterin, bietet einige Aspekte ikonographischer Photographie: das Reduzierte durch die Schwarz-Weiß-Photographie, das Herausgelöste aus dem Kontext des Spiels und damit gleichsam die Einsamkeit, die letzte Barriere vor dem Tor zu sein. In diesem Fall, mit den erhobenen Armen und dem stehenden Bein – vor allem mit dem Blick, der starr geradeaus ins Leere gerichtet ist, hat das Bild noch eine religiöse Konnotation: Die Haltung erinnert an eine Opferhaltung. In der Tat stellt sich ein Torhüter dann in den Weg, wenn sonst keiner mehr helfen kann. Ebenfalls eine ikonische Geste.

Der Ball kommt hier mit Karacho angeflogen – er wird schmerzen, wenn er auf den Körper trifft. Hier unterstreicht der Blitz sogar noch die Geschwindigkeit. Da er nur noch Sekundenbruchteile vom Aufprall entfernt ist, können wir den Schmerz vorausahnen, wir leiden selbst schon vorab. Dabei haben wir sogar die Chance, die Geschichte dieses Bildes selbst zuende zu denken. Wir können uns schon mit dem Gedanken befassen, wie das Gesicht der Torhüterin aussehen wird: von Schmerzen verzerrt. Das wäre also wieder eine ikonische Photographie im Sport. Die würde allerdings wiederum eine ganz andere Geschichte erzählen.

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